Der grundlegende Einfluss frühkindlicher Beziehungserfahrungen kann nicht oft genug betont werden. Selbstwerterleben, Zufriedenheit, berufliche wie private Situationen werden davon gelenkt und entscheidend beeinflusst. Es gibt Menschen, die haben es: eine tiefsitzende Überzeugung, ein wertvoller Mensch zu sein und Gutes verdient zu haben, ein Urvertrauen ins Leben und der Glaube, dass alles gut werden wird. Sie fühlen sich grundsätzlich geliebt und schenken sich selbst Liebe – auch in schweren Momenten. Aber es gibt Menschen, denen das fehlt. Sie fühlen sich, als ob das Leben gegen sie wäre. Sie fühlen sich einsam, obwohl es Menschen gibt, mit denen sie sich umgeben. Sie strengen sich an, sind sogar erfolgreich. Doch egal was sie tun, es ist nie genug. Stattdessen ist da die Sorge, das etwas passieren wird. Immer ist da eine innere Unruhe. Und schleichend macht sich eine Erkenntnis breit:
Liebe kann nicht verdient werden!
Diese Liebe (Anerkennung, Geborgenheit, sich gesehen fühlen) wird einem Kind geschenkt- oder eben auch nicht. Somit kommt den ersten Erfahrungen mit der Bezugspersonen- meist der Mutter – eine so wichtige Bedeutung zu, die ein Leben lang wirkt. Wenn die Mutter (oder eine andere enge Bezugsperson) das Kind anerkennt, spiegelt und Liebe schenkt, so kann ein Kind davon ein Leben lang zehren. Es trägt diesen Schatz in sich und wird in herausfordernden und schwierigen Lebenslagen daraus Kraft ziehen. Es vertraut automatisch darauf, dass es sich wieder zum Guten ändern wird. Es wird dem Leben generell vertrauen und seinen Platz finden. Es zweifelt nicht an sich.
Wenn das Kind aber nicht gesehen, anerkannt und gespiegelt wird, sondern stattdessen abgelehnt, ignoriert oder entwertet, oder wenn es eine Rolle erfüllen muss, dann entwickelt sich automatisch die Grundannahme „Ich bin nicht liebenswert“.
Warum aber ist das so? Denn es ist doch ganz klar eine Fehlannahme! Ein Kind kann erstmal nichts falsch machen! Es ist wertvoll, quasi durch Geburt. Und jedes Kind ist so dringend angewiesen auf dieses Geschenk der Liebe! Dieses Geschenk, das als Fundament für das ganze Leben benötigt wird.
Doch nicht alle Eltern können dieses Geschenk machen. Und das ist die bittere Erkenntnis. Es ist die Unfähigkeit der Eltern, unter denen das Kind ein Leben lang leiden wird. Es hat nichts mit Schuld zu tun. Es gibt viele Gründe, warum manche Eltern es nicht können. Vielleicht, weil sie diese Liebe selbst nicht geschenkt bekommen haben, vielleicht wegen äußerer Umstände, vielleicht aus Krankheit. Aber es liegt eben NIE am Kind, sondern es liegt an den Eltern. Die Eltern, die die Aufgabe haben, Geborgenheit zu schenken, aber es eben nicht können.
Diese Erkenntnis (dass es nichts mit dem Kind zu tun hat, sondern allein auf Seiten der Eltern mangelt) jedoch ist für ein Kind nicht möglich. Denn es geht um alles, um die eigene Existenz. Statt also die Ursache bei den Eltern zu suchen, sucht es den Fehler bei sich. Nicht die Eltern können falsch sein (von denen man ja abhängig ist), sondern man selbst ist offenbar falsch. Dies ist ein Trick, mit dem ein Kind wieder Kontrolle erlangen kann gemäß dem Motto: Ich kann was tun. Ich kann mich anstrengen. Wenn ich nur beweisen kann, wie toll ich bin, dann bekomme ich noch diese Liebe.
Als Erwachsene kann die Person erkennen, dass genau diese Masche leider nicht aufgeht. Denn wie gesagt: Liebe kann nur geschenkt, nie verdient werden. Und manche bekommen dieses Geschenk, und manche nicht. Das ist die Tragik. Kein Kind ist „besser“ oder hat es „mehr verdient“. Es ist Zufall, in welche Familie wir geboren werden und ob unsere Eltern in der Lage sind, dieses Geschenk zu machen.
Warum sind die ersten Beziehungserfahrungen so prägend: weil die frühe Entwicklung des Gehirns darauf aufbaut. Die ersten (Bindungs)- Erfahrungen werden zu neuronalen Erfahrungschablonen, die alle weiteren Beziehungen beeinflusst. Vertrauen, Geduld und Toleranz braucht zuvor sichere Bindung, Trost und Unterstützung. Das Geschenk der Liebe ist eine wichtige Säule für ein erfülltes Leben.
Was können Betroffene tun, die erkennen, dass sie in diesem Teufelskreis gefangen sind? Die den Fehler bei sich suchen und bemüht sind, im Beruf oder in der Partnerschaft durch besondere Anstrengung die Liebe zu erhalten? Die analytische Psychotherapie sagt, es gibt nur einen Weg daraus: der Schmerz der Kindheit muss nochmal gefühlt werden.
Und genau das kann eine erwachsene Person. Was dem Kind nicht möglich ist, kann die erwachsene Person. Es kann erkennen, dass es ein Mangel der Eltern ist, nicht der eigene Mangel. Dass es unfair ist, unkontrollierbar. Aber dass eine erwachsene Person es aushalten kann, den Schmerz zu fühlen, und dass hinter dem Schmerz das Geschenk der Liebe wartet, das die Person sich selbst schenken kann.